Zum Hauptinhalt springen

Das IMM TransferZentrum, in dem unser Gespräch stattfindet, trägt die Idee des Transfers schon im Namen. „Das ist durchaus der Gedanke dieses Hauses“, erklärt Banowski. „Wie können sich Unternehmen und Forschungseinrichtungen miteinander vernetzen? Wie können wir Wissen teilen?“ Und tatsächlich finden mit den ebenfalls im Transferzentrum ansässigen Firmen wie Cinector oder Direct Out ein reger Austausch und enge Kooperationen sowohl technologie- als auch fertigungsseitig statt.

Name des Projekts:

Bildgestützte, sensorgesteuerte medizinische Wundvermessung

Projektpartner:

IMM electronics GmbH

Gesprächspartner:

Matthias Banowski, Geschäftsführer/CEO der IMM electronics GmbH,
Mittweida

Herr Banowski, erklären Sie uns bitte kurz das Tätigkeitsfeld von IMM?
Wir sind als Entwicklungs- und Produktionsunternehmen für Elektronikprodukte sehr breit aufgestellt: Von Medizinelektronik und Automation über Audio- und Leistungselektronik bis hin zu eigenen Produkten wie unserer twall® ist unser Portfolio genauso bunt wie die Märkte, in denen wir aktiv sind. Dabei haben wir immer das gesamte Gerät im Fokus – von der Entwicklung über die Produktion bis hin zur weltweiten Logistik.

Beschreiben Sie bitte das Transferprojekt, das Sie uns vorstellen möchten.
In einem gemeinsamen Projekt forschten der Elektronikdienstleister IMM electronics GmbH Mittweida und das Institut für Energiemanagement (ifem) der Hochschule Mittweida an einer neuen Methode, Wunden für medizinische Zwecke technisch zu vermessen. Stellen Sie sich vor, Sie wurden operiert und haben nun eine acht Zentimeter lange Narbe am Sprunggelenk. Um den Heilungsverlauf zu dokumentieren, wird die Wunde regelmäßig vermessen. Bisher sieht das so aus, dass eine Krankenschwester dazu den Verband löst und die Wunde mit dem Lineal misst. Im Rahmen des Projekts wollten wir dazu eine einfach umzusetzende digitale Methode entwickeln.

Das klingt zunächst einfacher, als es ist: Man braucht eine Kamera und einen Abstandsmesser, der der Kamera die Information vermittelt, wie weit das zu vermessende Objekt – in dem Fall die Wunde – entfernt ist. Über Pixelgeometrie kann man dann die Länge der Wunde analysieren und berechnen. Da die Kamera mit dem Dokumentensystem verbunden ist, können die Aufnahmen nicht nur vermessen, sondern auch in der digitalen Patientenakte dokumentiert werden.

Wo lagen die besonderen Herausforderungen bei diesem Transferprojekt?
Neben der zielgenauen Abstandsmessung im Zentimeterbereich spielten bei diesem Projekt auch Aspekte der Sicherheit und der Zulassung als Medizinprodukt eine wichtige Rolle. So konnten wir beispielsweise aus Sicherheitsgründen keinen Laser für die Abstandsmessung zur Wunde verwenden. Stattdessen setzten wir auf einen TOF (Time of Flight)-Sensor, der die Geschwindigkeit des zurückgesandten Lichtstrahls misst. Diese Sensoren kennt man aus dem Handy – sobald man das Display nahe an das Ohr heranbewegt, schaltet es automatisch ab, damit nicht versehentlich beim Telefonieren der Touchscreen aktiviert wird. Wir haben drei dieser Sensoren auf den Chip aufgebracht, um durch die Bildung eines Mittelwerts die Genauigkeit zu verbessern. Über einen Bluetooth-Controller haben wir unseren Abstandsmessungssensor dann mit der Kamera verbunden, deren Software ebenfalls eigens für diesen Anwendungsfall umprogrammiert wurde. Direkt neben dem Objektiv misst das von uns entwickelte Gerät dann den Abstand zur Wunde und kann aus der Pixelauflösung die Wundlänge und -tiefe präzise bestimmen.

Wie sind Sie auf die Idee zu diesem Projekt gekommen?
Die ursprüngliche Idee stammt von der Firma Meso aus Mittweida, die medizinische Software und Anwendungen herstellt. Sie wandten sich mit diesem Vorschlag an das Institut für Energiemanagement (ifem) der Hochschule Mittweida, das dann mit der Projektidee auf uns zukam. Wir arbeiten bereits seit vielen Jahren eng mit dem ifem zusammen und sie wussten, dass wir genau der richtige Partner zur Realisierung dieses Projekts sein würden. Ein perfektes Beispiel für regionale Netzwerke aus Forschung, Entwicklung und Herstellung, die wirklich funktionieren.

Haben Sie extra Personal für dieses Projekt eingestellt?
Ja, wir haben einen Mitarbeiter für dieses Projekt eingestellt. Er war vorher bei der Hochschule Mittweida als wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäftigt und brachte wertvolle Impulse und Know-how in das Projekt ein. Das Beschäftigungsverhältnis konnten wir auch nach Beendigung des Projekts aufrechterhalten – eine Win-Win-Situation für beide Seiten.

Wie wurde das Projekt finanziert und welche Laufzeit hatte es?
Das Transferprojekt startete im April 2018 und hatte eine Laufzeit von zwei Jahren. Es wurde aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und des Freistaats Sachsen im Rahmen der sächsischen Technologieförderung durch die Fördermaßnahme InnoTeam gefördert. 

Welche Vorteile bringen solche Transferprojekte aus Ihrer Sicht?
Viele! Erstens entstehen durch solche Projekte wertvolle Kontakte – sowohl zu anderen Unternehmen, die sich mit ähnlichen Fragestellungen befassen, als auch zu den Hochschulen mit ihrem tiefgreifenden Know-how. Dies gibt wertvolle Impulse für die eigene Entwicklungsarbeit. Oft ergeben sich durch solche Projekte auch Kontakte zu potenziellen Mitarbeitern – in Zeiten des Fachkräftemangels ein nicht zu unterschätzender Aspekt.

Zweitens betrachten wir Transferprojekte als wichtigen Technologietreiber. Wir wollen uns als Unternehmen ständig weiterentwickeln und unseren Kunden immer mit den neuesten Technologien beglücken. Wer sich als Unternehmen so wie wir die Entwicklung neuer Produkte in die Philosophie geschrieben hat, ist mit einem Transferprojekt wirklich sehr gut beraten. Die Impulse und das Know-how, die durch den Austausch mit den Projektpartnern entstehen, sind unschätzbar wertvoll. 

Last but not least ist ein Transferprojekt immer dann interessant, wenn man als Unternehmen sowieso vorhat, ein neues Produkt zu entwickeln, das man dann auch herstellen kann. Man sollte ein solches Projekt generell nie zum Selbstzweck angehen.

Wie weit ist der Weg von einem Transferprojekt bis zur Vermarktung?
Man muss schon ordentlich hinterher sein, um aus einem Forschungsprojekt heraus ein Produkt auf den Markt zu bringen. Nur eine Idee lässt sich nicht verkaufen – der Markt ist für den wirtschaftlichen Erfolg unerlässlich. Deshalb sollte der Vertrieb von Anfang an eingeplant werden. Ich erzähle Ihnen kein Geheimnis, wenn ich sage, dass Hochschulen und Unternehmen hier zwei völlig verschiedene Welten sind. Eine Hochschule formuliert Ideen und findet Lösungen. Ein Unternehmen muss in Märkten, Kunden und Zielgruppen denken. Dem Professor ist es wichtig, dass seine Idee funktioniert. Das Unternehmen stellt Fragen wie: Wie kann das Produkt am Markt zugelassen werden? Wie kann es produziert werden – auch in größeren Serien? Wie und wo kann es vermarktet werden? Wie gestaltet sich der Preis? Doch auch gerade wegen dieser unterschiedlichen Sichtweisen ergibt die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Wissenschaft ja Sinn! Wir profitieren beide voneinander. Die Hochschulen sind die Forscher, wir die Entwickler. An der Hochschule geht es um den Weg, im Unternehmen zählt das Ziel.

Ist bei Ihnen aus einem Forschungsprojekt schon einmal ein echtes Erfolgsprodukt hervorgegangen?
Ja: unsere twall® Plus, heute twall® D! Das interaktive System zur individuellen Bewegungsmotivation fördert Bewegung, Koordination und Reaktion durch programmierbare Lichtimpulse. An einer elektronischen Wand leuchten in schneller Folge farbige Lichtfelder auf, die man durch Draufschlagen löschen muss – ganz nach dem Motto „Move with the light“. Das macht nicht nur Spaß, sondern bringt die Spieler auch ordentlich in Schwung. Die Anwendungsfelder reichen von der Medizin bis in den Eventbereich – ob im Fitnessstudio, als begleitendes Gerät in der Rehabilitation, zur Pausenbeschäftigung in Schulen, auf Messen oder als Trainingsunterstützung im Leistungssport. Viele Kindereinrichtungen setzen auf den spritzigen Bewegungsmotivator. Besonders in den USA erfreut sich das Gerät großer Beliebtheit. Im deutschen Fernsehen kennt man es von „Schlag den Raab“ oder vom Kindersender Kika. Sogar in Altenheimen kommt der Bewegungsmotivator zum Einsatz – als Tischgerät in rollstuhlfreundlicher Spielhöhe. Eines davon bringt die Mittweidaer Senioren in Schwung. 

Unsere twall® D wurde im Rahmen eines Transferprojekts entwickelt – denn die Sensoren sind gestickt! Ein gemeinsames Projekt mit der Plauener Spitze® und der TU Chemnitz – von der Forschung über die Entwicklung bis zur Produktion.

Müssen die Produkte, die im Rahmen eines Transferprojekts entwickelt werden, auch auf den Markt gebracht werden? Ist das eine Bedingung für die Förderung?
Nein. Oftmals gelingt das auch gar nicht. Dennoch sind die Ergebnisse wichtig. Denn in den Hochschulen und auch in den Unternehmen sind die Erkenntnisse ja da und geben oft wertvolle Impulse für weitere Forschung und Entwicklung.

Gibt es bekannte Beispiele für Produkte, die im Rahmen von Transferprojekten entstanden sind?
Die wohl berühmteste Transfer-Erfolgsstory ist MP3. Das Prinzip wurde an der TU Ilmenau entwickelt und hat sich weltweit als Standard zum Abspielen von Audio-Dateien durchgesetzt. Die Idee dahinter ist ebenso einfach wie genial: Es werden einfach alle Informationen weggelassen, die man sowieso nicht hört. So konnten die Datenmengen beim Musikhören beträchtlich komprimiert werden.

Wie stellen sich Transferprojekte aus wirtschaftlicher Sicht dar?
Das ist ehrlich gesagt der schwierigere Teil. Die Hochschulen bekommen 100 Prozent der projektgebundenen Personalkosten ersetzt, bei den Unternehmen sind es je nach Projekt mal 50 Prozent, mal etwas mehr oder weniger. Da darf man sich schon fragen: Wollen wir das jetzt wirklich? Oder arbeiten wir lieber an einem Kundenprojekt und verkaufen unseren Stundensatz, statt die 50 Prozent Personalkosten zu bekommen? Es gibt zwar einen Verwaltungskostenzuschuss, doch der wird auch wirklich gebraucht. Der bürokratische Aufwand ist nicht zu unterschätzen. Doch wenn man das Ziel im Blick hat, ist man in der Lage, die richtige Entscheidung zu treffen.

Wie gehen Sie mit der Bürokratie eines Transferprojekts um?
Wir haben zum Glück eine erfahrene Mitarbeiterin, die sich neben anderen Tätigkeiten auch um die Bearbeitung der Anträge sowie um die Berichte und die Abrechnung der Projekte kümmert. Die Verwaltungsarbeit ist an sich kein Hexenwerk, doch der Aufwand ist beträchtlich. Die Hochschulen leisten bei der Antragstellung zum Glück sehr gute Unterstützung und übernehmen oft einen großen Teil dieser Arbeit.

Wie wird ein solcher Antrag gestellt?
Zunächst reicht man eine Projektskizze ein, auf der das Vorhaben auf wenigen Seiten grob umrissen wird. Wird diese Skizze angenommen, stehen die Chancen recht gut, dass auch das gesamte Projekt gefördert wird. Dann folgt der Antrag. Er umfasst unter anderem Angaben zur Zielstellung, Konzeption und den einzelnen Aufgaben sowie zu den beteiligten Projektpartnern. Da kommen schon schnell mal an die 50 Seiten zusammen. Zum Glück bekommen wir hier, wie gesagt, große Unterstützung von den Hochschulen. Im späteren Verlauf muss man einige Berichte schreiben und auch die Abrechnung ist nicht ohne. Wichtig ist, dass alle projektbezogenen Fakten wie Arbeitszeiten und Personalaufwand gut dokumentiert werden. Aber das machen wir bei uns im Unternehmen sowieso.

Wie hoch ist die Ablehnungsquote solcher Projektanträge?
Wenn das Projekt gut vorbereitet ist und die Projektskizze angenommen wurde, stehen die Chancen sehr gut, dass auch das Projekt genehmigt wird. Unsere Quote liegt vielleicht bei 70-80 Prozent. Wichtig ist, dass man bei der Auswahl möglicher Projekte gut selektiert. Es muss etwas sein, das für uns als Unternehmen Sinn ergibt. Das ist das oberste Gebot. Eine Förderung nur um der Förderung willen käme für uns nie in Frage.
Es gibt auch Beratungsunternehmen, die Transferprojekte von Hochschulen an Unternehmenspartner vermitteln. Für uns ist das nichts, denn durch die Vermittlungsgebühr bleibt dort unterm Strich noch weniger übrig. Aber für Unternehmen, die in solchen Aufgaben gerade erst am Anfang stehen, kann auch das zielführend sein.

Für welche Unternehmensgröße eignen sich Ihrer Meinung nach Transferprojekte?
Die Unternehmensgröße spielt gar keine so große Rolle. Wichtig ist, dass das Unternehmen es will. Es muss Sinn ergeben für die eigene Ausrichtung – entweder, um ein neues Produkt zu entwickeln, an dem man sowieso arbeiten will, oder um in eine neue Technologie einzutauchen, die man gern kennenlernen oder ausbauen möchte. Unter diesem Aspekt kann ein Transferprojekt auch für Start-ups interessant sein.

Sind bei Ihnen weitere Transferprojekte in Planung?
Ja, wir beantragen gerade ein weiteres Projekt zusammen mit der Ingenieurfakultät der Hochschule Mittweida. Dabei geht es um die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine in der Lagerlogistik. Nähert sich ein autonomes Transportfahrzeug von hinten einem Mitarbeiter, so stoppt zwar das Fahrzeug automatisch, der Lagerarbeiter kann jedoch trotzdem darüber stolpern. Das Problem ist also oft nicht die Maschine, sondern der Mensch! Die Idee hier ist ein „virtueller Schulterklopfer“, der den Mitarbeiter auf die hinter ihm stehende Gefahr hinweist. Das Schöne an diesem Projekt ist, dass hier von Anfang an zahlreiche Partner beteiligt sind, die das Projekt später auch umsetzen können und wollen. Aktuell läuft die Suche nach Fördergebern. Im besten Fall sind wir dann später als Elektronikproduzent mit im Boot. Bei solchen Projekten spielen wir gern mit, da sie von Anfang an auch auf den Markterfolg ausgerichtet sind.

Stand der Veröffentlichung: Mai 2022

„Transferprojekte haben unschätzbaren Wert für das eigene Unternehmen“: Matthias Banowski, Geschäftsführer/CEO der IMM electronics GmbH schätzt die wertvollen Kontakte zu anderen Unternehmen und zur Hochschule, die wertvolle Impulse für die eigene Entwicklungsarbeit des Unternehmens schaffen. Bei der Entwicklung neuer Produkte sieht er Transferprojekte als wichtigen Technologietreiber.

Zurück zur Übersicht